Aufbruch in eine neue Zeit. Brasiliens kulturpolitischer Neubeginn

Von Peter B. Schumann

Die Regierungszeit von Jair Messias Bolsonaro war verheerend für die brasilianische Kultur. Er hatte einen Kulturkampf gegen alle gesellschaftskritischen Ausdruckformen entfesselt und nur noch gefördert, was ein positives Erscheinungsbild des Riesenlandes vermittelt. Das alles wird sich jetzt ändern, denn am 1. Januar hat Luiz Ignacio Lula da Silva seine dritte Präsidentschaft angetreten.


„Wir werden in diesem Land eine Kulturrevolution durchführen. Sie haben das Kulturministerium abgeschafft. Wir werden das Ministerium wieder errichten und außerdem Kulturkomitees in jedem Bundesstaat schaffen.“


Lula da Silva wurde auf seinen zahllosen Wahlkampfveranstaltungen im letzten Herbst nicht müde, dieses Versprechen zu betonen, denn er kennt die Bedeutung der Kultur als Ausdruck der Diversität für ein Land wie Brasilien sehr genau. Zu Beginn seiner ersten Regierungszeit 2003 hatte er bereits den legendären Sänger Gilberto Gil als ersten schwarzen Kulturminister berufen, der in den 1960er Jahren zusammen mit Caetano Veloso den Tropicalismo begründete.

Bolsonaro und seine Ideologen setzten dagegen auf einen „weißen Kulturbegriff“ – wie er in der Kolonialzeit üblich war, als den Afrobrasilianern allenfalls eine folkloristische Existenz zugebilligt wurde. Und er verdammte bei jeder Gelegenheit Vertreter einer diversen Kultur: „Unsere Regierung ist dabei, nach zwei Jahrzehnten der künstlerischen und kulturellen Zerstörung, vor allem der Bildung, die Herrlichkeit und Heiligkeit unserer portugiesischen Sprache wieder herzustellen. Und wir werden es nicht länger dulden, dass linke Individuen wie Caetano Veloso uns der Zensur bezichtigen. Solche Leute sind Lügner und Kanaillen.“

Von nun an soll Schluss mit dem Kulturkampf und dem ideologischen Grabenkrieg sein. Für Präsident Lula da Silva ist die Kultur keine Nebensache, sondern eine der wichtigsten Prioritäten seiner Politik. Dazu muss zunächst die Verwaltungsstruktur des Ministeriums wieder aufgebaut werden, die weitgehend demontiert wurde. Die Spitzenpositionen der verschiedenen Förderungseinrichtungen müssen neu besetzt werden, besonders der Fundação Palmares, der wichtigsten Stiftung der schwarzen Kultur. Sie sorgte für eine hohe Anerkennung der historischen Leistung des Befreiungskampfes der Schwarzen, den der von Bolsonaro ernannte Leiter jedoch völlig negierte.

Außerdem will Präsident Lula da Silva den kulturellen Zentralismus beenden. „Die Kultur der Regionen müssen wir wieder sichtbar machen: die Kultur von Goiás, von Pernambuco, von Bahia, von Amazonien. Und wir dürfen es nicht dem Fernsehen überlassen, aus der südlichen Mitte des Landes die Kultur des ganzen Landes zu verbreiten. Wir müssen vielmehr dafür sorgen, dass auch im Süden die kulturell reichsten Regionen bekannt werden.“

Für die Durchführung dieser riesigen Aufgabe konnte er den Kulturetat verfünffachen und die Sängerin Margareth Menezes gewinnen. Die Sechzigjährige ist die erste schwarze Frau im Kabinett einer Bundesregierung. Wie Gilberto Gil stammt sie aus Bahia und ist eine der wichtigsten Vertreterinnen der brasilianischen Popmusik. In einem ihrer ersten Statements nach der Ernennung sagte sie: „Das Wichtigste ist im Augenblick die Reorganisierung des Ministeriums. Dann hat der Präsident als weitere zentrale Aufgabe die Förderung der Regionalkultur vorgegeben, bei der uns die regionalen Komitees helfen sollen. Gestützt auf die viele Zustimmung, die wir für unsere Mission erhalten haben, werden wir uns nun an diese Aufgaben machen.“

Politische Erfahrung hat die neue Kulturministerin noch nicht. Sie ist jedoch gesellschaftspolitisch sehr engagiert und hat 2004 eine „Kulturfabrik“ in einem der Armenviertel in Salvador gegründet, wo sie aufgewachsen ist. Dort können Jugendliche eine berufliche Fortbildung erhalten oder ihre künstlerischen Fähigkeiten erkunden. Ihr Profil entspricht damit dem zentralen Sozialprogramm Lula da Silvas. Für die administrativen Aufgaben hat sie ein erfahrenes Team an ihrer Seite. Unterstützung für Ihre ‚Mission‘ findet sie reichlich, natürlich vor allem von den Kulturschaffenden, die endlich von Bolsonaros Zumutungen befreit werden wollen. Die Wahl von Margareth Menezes als Kulturministerin ist für sie ein Zeichen der Hoffnung – wie es das berühmte Protestlied A Pesar de Vocé von Chico Buarque nach einer Zeit der Dunkelheit signalisiert: „Nach allem, selbst der Verfolgung der Blumen, kommt morgen ein neuer Tag“: eine neue Zeit für die Kultur Brasiliens.


Quelle: Deutschlandfunk-Kultur, Fazit, 29.12.22

Bild: Präsident Lula mit der neuen Kulturministerin Margareth Menezes. Quelle: Ricardo Stuckert

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