ANGÉLICA GORODISCHER (1928-2022) Das Vermächtnis der Grande Dame der spanischsprachigen Science-Fiction

Ein Nachruf von Esther Andradi. Aus dem Spanischen von Ana Raquel Sutter.

Ich glaube an die Fantasie. Ich denke, dass „die Verrückte im Haus“ diejenige ist, die die Dinge am Besten macht. Ich SEHE die Dinge, die ich schreibe. Und ich sehe sie nicht nur, ich höre und rieche sie auch. Und wenn mich irgendetwas auszeichnet, dann ist es die Fähigkeit, die Geräusche, den Geruch, das „Vergilbte“ der vergangenen Jahre und Jahrhunderte in Worte fassen zu können.

Angélica Gorodischer, die Schriftstellerin, die sah, träumte und mit all ihren Sinnen neue Universen in die Landschaft der spanischen Sprache zeichnete, starb am 5. Februar im Alter von 93 Jahren in Rosario, Argentinien. Und zwar zu Hause, wie sie es sich in einem kürzlich veröffentlichten Brief gewünscht hatte:

Ich hoffe in meinem Bett zu sterben, in Ruhe, neben jemandem, der meine Hand hält, und in einem schlichten Sarg begraben zu werden, der schnell verrottet.

Seit 1964, als sie für ihre Kurzgeschichte „En verano, a la siesta y con Martina“ ausgezeichnet wurde, hat sie zahlreiche Preise erhalten, darunter den “World Fantasy Award” für ihre Karriere. Aber sie war nicht auf der Suche nach Preisen, sondern nach Lesern. Sie war eine außergewöhnliche Schriftstellerin, eine erhabene Geschichtenerzählerin, eine unermüdliche Schöpferin. Ihre Werke umfassen mehrere Genres: Fantasy, Krimi, Science-Fiction, in denen die weiblichen Figuren ihre Stärke und die Macht des Begehrens entdecken und aus dem, was das Leben ihnen gibt, ein Fest machen. Und was es ihnen nicht gibt, das nehmen sie sich.

So einfach und gleichzeitig komplex sind die Geschichten, die Gorodischer bei einem Spaziergang durch ihren Kiez in Rosario, beim Einkaufen im Supermarkt, im Flugzeug auf dem Weg irgendwohin oder in der Gemäldegalerie in Berlin tatsächlich „gesehen“ hat. Die Gegenstände hielten Geheimnisse für sie bereit, die darauf warteten, erzählt zu werden und ihre Figuren erschienen in ihrem Alltag und stellten ihr Fragen. Trafalgar zum Beispiel, der Protagonist ihres Science-Fiction-Buches, der sie durch verschiedene Sternenkonstellationen führt, kommt eines Tages zu ihr und sagt: „Ché, hast du einen Kaffee?“ Und so beginnt die Geschichte.

Im Jahr 2003 wurde ihr Roman Imperial Kalpa (The Greatest Empire That Never Was) in den Vereinigten Staaten veröffentlicht, übersetzt von Ursula K.Le Guin, eine der größten Stimmen des Science-Fiction, mit der sie sich immer verbunden fühlte.

Neugierig, ungehorsam und rebellisch, eine Feministin der ersten Stunde, als es noch nicht leicht war, eine zu sein und es noch keine #niunamenos oder „grüne Flut“ gab, verlieh ihr die “Asamblea Permanente de Derechos Humanos” Argentiniens den Preis “Dignidad” – Würde – für ihren konsequenten Kampf für die Frauenrechte.

Sie setzte sich für die Sichtbarkeit von Schriftstellerinnen ein und gab zahlreiche Anthologien heraus, darunter „Esas malditas mujeres“ (1998), eine Auswahl Kurzgeschichten lateinamerikanischer Autorinnen. Sie organisierte auch drei internationale Schriftstellerinnen-Kongresse, 1998 und 2000 in Rosario und 2002 in Buenos Aires.

Der Katalog der Bibliothek des Ibero-Amerikanischen Instituts listet mehr als vierzig Titel von Angélica Gorodischer auf, von denen nur drei ins Deutsche übersetzt sind: Eine Vase aus Alabaster. Orlanda Frauen Verlag 1992. Im Schatten des Jaguars. Golkonga 2010 und Kalpa Imperial, das größte Imperium, das es nie gegeben hat. Golkonda 2018.

Gorodischer Universum: eine ganze Welt für deutschsprachige Leser zum Entdecken!

Foto: ©️Forneris

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