Venezuelas kulturelle Überlebensstrategien
Ein Beitrag von Peter B. Schumann*
„Das Kulturzentrum Trasnocho bleibt bis auf weiteres geschlossen. Nach der Explosion eines Generators in Congresa ist die Stromversorgung völlig zusammengebrochen. Bevor das Problem nicht gelöst ist, können wir keine Vorstellungen durchführen.“
So heißt es seit Tagen auf der Webseite des berühmten Kulturzentrums Trasnocho in Caracas. Endlos ist die Liste der Tweets von Besuchern, die ihr Bedauern über die Schließung ausdrücken.
„Jetzt wurde uns auch noch eine der letzten Oasen in diesem Desaster genommen. Hoffentlich spielt ihr bald wieder.“
Nicht nur das Trasnocho, sondern auch das Centro Cultural BOD und andere mussten ihre Veranstaltungen absagen. Dabei ist die Kultur für viele Venezolaner eine Art Überlebensmittel. Seit die Zensur und auch die Gewalt zugenommen haben, hat sie sich nicht zuletzt aus Sicherheitsgründen in große Zentren zurückgezogen, wie z.B. in Los Galpones.
„Hier haben sich vor allem Galerien angesiedelt“ – so die Künstlerin Diana Carvallo. „Sie bieten regelmäßig neue, hervorragend kuratierte Ausstellungen junger Maler, Fotografen, Karikaturisten oder Performer, aber auch von bekannten Künstlerinnen und Künstler… In der letzten Zeit beschäftigen sich viele in ihren Arbeiten zunehmend mit der aktuellen Situation, mit Themen wie dem Mangel an Freiheit, dem Exil, der Zensur, der Korruption oder der Unterdrückung. Ich erinnere mich auch an Fotografien, die den Zerfall der Stadt Caracas eindrucksvoll zeigten.“
Die Theaterszene, die im letzten Jahr sehr aktiv war, bot im Januar eine Besonderheit: so genanntes Microteatro. Es ist preiswert und sehr populär, denn die Zuschauer begegnen den Schauspielern auf engstem Raum. Weil es nur minimale Mittel braucht und vielen Akteuren Arbeit gibt, wird es in Notzeiten gern wiederbelebt. Dairo Piñeres, der Organisator:
„Das Microtheater zeigt 26 jeweils viertelstündige Stücke im selben Raum mit einer 15 minütigen Pause. Hier kann man alles erleben: Dramen, tragische Komödien oder eine Art tropischer Frauen-Operette.“
Die Kulturzentren bieten in ihren diversen Sälen eine Vielzahl von Theater- oder Kino-Veranstaltungen zu akzeptablen Preisen und sind normalerweise sehr gut besucht. Neben Cafeterias finden sich hier auch Buchhandlungen. Doch diese haben ein spezielles Problem.
„Bücher sind wegen der hohen Produktionskosten sehr teuer bei uns“ – so der Literaturkritiker Isaác González Mendoza in der Tageszeitung La Nación „Wenn es einem der wenigen Verlage, die bis jetzt die Krisen überlebt haben, gelingt, einen Band mit Gedichten, Essays oder einen Romane herauszubringen, findet er nur wenige Käufer. Viele Leser greifen lieber zu gebrauchten Titeln. Deshalb musste eine Reihe von Buchhandlungen schließen. Andere haben sich auf das Antiquariatsgeschäft eingestellt. Es grenzt fast an ein Wunder, wenn heute in Venezuela neue Bücher erscheinen.“
Ohne die privaten Zentren läge des kulturelle Leben des Landes weitgehend brach, denn offizielle, staatlich geförderte Kultur findet allenfalls innerhalb von Propagandashows der Regierung statt und bietet ansonsten einen trostlosen Anblick – meint Diana Carvallo:
„Niemand geht in die großen, offiziellen Museen, denn sie machen einen ziemlich heruntergekommenen Eindruck, weil sich wohl niemand mehr um sie kümmert. Ausstellungen bieten oft ein Durcheinander von Kunstwerken, mit denen die Wände vollgehängt werden, denn es gibt keine sachkundigen Kuratoren mehr.“
Die relevante, privat organisierte Kultur hat sich für viele Venezolaner in eine Form von Überlebensstrategie entwickelt. Dazu gehört auch das auf Demonstrationen gesungene Protestlied. Oder ein kollektiver Song wie Die Stimme, zu dem sich verschiedene venezolanische Künstler zusammengeschlossen haben, um gemeinsam ihren Ruf nach der Wende, nach Freiheit in Venezuela zu erheben.
*Dieser Beitrag war am 16.03.19 im ‚SWR – Journal am Abend‘ zu hören
Foto: Galeria de Arte Nacional Caracas Venezuela CCS GAN. QuinteroP via Wikimedia Commons.