Jedes Jahr gegen Jahresende gibt das Kulturministerium in Lima den Preisträger/die Preisträgerin für den Premio Nacional des ablaufenden Jahres bekannt. 2019 war dies der Theaterregisseur Miguel Rubio, Mitglied des Ehrenkomitees des Förderkreises. Auch 2020 ist die Preisträgerin keine im IAI Unbekannte: Teresa Ruiz Rosas.
von Thomas Bremer
Teresa Ruiz Rosas, geboren 1956 in Arequipa, hat Literatur- und Übersetzungswissenschaft in ihrer Heimatstadt und in Barcelona studiert. Ein Stipendium brachte sie an einen für Lateinamerikaner*innen eher exotischen Ort, nämlich nach Budapest (weshalb sie auch heute noch gut Ungarisch spricht und manchmal Texte aus dieser Sprache übersetzt hat). Eine Zeitlang war sie Spanischlektorin in Freiburg, seit gut zwanzig Jahren lebt sie in Köln, wo sie lange für die Deutsche Welle Radiosendungen geschrieben, übersetzt und betreut hat und heute neben ihren Romanen vor allem literarische Übersetzungen aus dem Deutschen publiziert. Sie war (und ist) relativ häufig in Berlin, hat im Ibero-Amerikanischen Institut an Veranstaltungen teilgenommen und in der Buchhandlung Rayuela, aber auch an der Universität in Halle ihre neuen Romane vorgestellt.
Ihr erster (Kurz-) Roman, El copista (Anagrama, Barcelona 1994), wurde auch ins Deutsche übersetzt (Der Kopist, bei Ammann in Zürich 1996) und hatte, vor allem auch in der Schweiz, eine sehr freundliche Aufnahme. La mujer cambiada (Lima 2008, ebenfalls in der Schweiz übersetzt beim Liebe-Verlag in Weilerswist ein Jahr darauf) verknüpft eine Liebesgeschichte mit dem schwierigen politischen Hintergrund Perus in den 1980er und 1990er Jahren und den Konflikten zwischen Sendero Luminoso und dem peruanischen Militär. Die Protagonistin, Elvira Peña, unterzieht sich einer Gesichtsoperation, aber nicht aus ästhetischen Gründen, sondern, um möglichst nicht mehr erkannt zu werden. Doch das geschieht trotzdem. In einer Serie aus literarischen flash backs zwischen drei Protagonisten werden immer neue Details aus der Gewaltgeschichte des Landes, des Terrorismus und seiner ebenso keine Rücksicht auf die andine Zivilbevölkerung nehmenden Bekämpfung durch die Soldaten deutlich – und die Gründe, die die Protagonistin zu jener Operation bringen.
Es sind meist weibliche Hauptpersonen, die Ruiz Rosas‘ Romane auszeichnen, häufig leben sie ‚zwischen‘ den Kulturen und den Fronten. In Nada que declarar (Lima 2013 und in einer um etwa ein Drittel gekürzten Fassung als Nada que declarar: El libro de Diana 2015 auch in Spanien erschienen) ist es die Peruanerin Dianette, die in Deutschland lebt (einige Episoden spielen in Düsseldorf) und die durch Zufall auf Silvia trifft. Sie wird ihr bei der Rückkehr nach Peru helfen und am Ende die Geschichte erzählen: eben das Buch von Diana.
Die Auszeichnung durch den Premio Nacional de Literatura (wie er in diesem Jahr ausgeschrieben war) erwähnt ausdrücklich den jüngsten Text von Teresa Ruiz Rosas, Estación Delirio, Ende 2019 erschienen. Auch hier geht es wieder um die Freundschaft unter Frauen; 1984 wird eine psychiatrische Privatklinik in Stuttgart aufgelöst, Anne bringt die entlassenen Patientinnen zum Hauptbahnhof, von wo aus sie sich in alle Himmelsrichtungen zerstreuen. Erneut ist es Jahre später eine Schriftstellerin (sie heißt wiederum Silvia; beide kennen sich ursprünglich aus ihrer Jugend in Arequipa), die dann die Geschichte aus der Rückschau rekonstruieren wird.
Bei Teresa Ruiz Rosas geht es stets um die sensible Zeichnung der Protagonist(inn)en und ihrer Aktionen inmitten eines meist sehr konkret geschilderten Settings; raffinierte avantgardistische Schreibtechniken stehen weniger im Zentrum ihres Interesses. Die Konflikte ihrer Figuren spiegeln vielmehr die interkulturelle Situation (‚Zerrissenheit‘ wäre zu stark) zwischen Deutschland und Peru und die Aufmerksamkeit für die sozialen Konflikte ihres Herkunftslandes. Es sind „die Erforschung weiblicher kosmopolitischer Subjektivität und die Verbindungen zwischen Freundschaft, Verrücktheit und Kunst“, für die sie ausgezeichnet werde, schreibt das peruanische Kulturministerium in der Begründung für die Preisverleihung, und dafür, dass sie „in einer anregenden Sprache Realitäten sichtbar macht, die Frauen unterdrücken“. Wir gratulieren!
Foto: ©Jeanette Erazo Heufelder