Von Peter B. Schumann
Sergio Ramírez ist zunächst als Politiker bekannt geworden, als Vizepräsident der ersten linken, sandinistischen Regierung Nicaraguas. Doch seine literarische Leidenschaft begann schon früh, konnte sich aber erst durchsetzen, nachdem er sich aus der Politik zurückgezogen hat. Er hat sich selbst einmal als „fiktionaler Chronist Nicaraguas“ bezeichnet, den in seinen zahlreichen Erzählungen und Romanen beschäftigt er sich fast ausschließlich mit dem Zustand seine Landes: vor allem mit der Vergangenheit der Somoza-Diktatur und dem heutigen autoritären Regime des ehemaligen Revolutionärs Ortega. Er ist vielfach ausgezeichnet worden und wurde am 23. April mit dem Cervantes-Preis geehrt, der wichtigsten Auszeichnung für spanisch-sprachige Literatur.
Die Freunde des IAI beglückwünschen den Präsidenten ihres Ehrenkomitees.
Sergio Ramírez stand lange auf der Liste der Kandidaten des Cervantes-Preises. Und heute wird er ihn endlich aus den Händen des spanischen Königs erhalten als einer der großen, lebenden Schriftsteller Lateinamerikas. Emotionen pflegt er in der Öffentlichkeit nicht zu zeigen, und deshalb fiel sein erstes Statement für die vor seinem Haus in Managua versammelte Presse etwas nüchtern aus.
„Ich möchte meine Genugtuung zum Ausdruck bringen, denn es ist das erste Mal, dass einem Nicaraguaner, einem Mittelamerikaner dieser Preis zugesprochen wird. Das stärkt die nicaraguanische Kultur und eröffnet ihr weitere Chancen. Und diese Ehre bietet mir neue Möglichkeiten, um unsere Literatur und vor allem die der jungen Leute sichtbarer zu machen.“
Eine für den 75-jährigen bezeichnende Äußerung, denn er spielt seit Jahrzehnten die Rolle eines Kultur-Vermittlers in seiner Region. Er will den nationalen Egoismus in den untereinander zerstrittenen Ländern überwinden, sie kulturell zusammenführen oder wenigstens einen literarischen Austausch bewirken. Dazu hat er 2013 das Festival Mittelamerika erzählt gegründet und die auch auf Deutsch erschienene Anthologie Zwischen Süd und Nord. Neue Erzähler aus Mittelamerika herausgegeben. Seine besondere Aufmerksamkeit gilt dabei dem literarischen Nachwuchs.
„Ich will zeigen, was diese Generation schreibt und was für ein Bild sie sich von den gesellschaftlichen Problemen in unseren Ländern macht. Ich glaube zwar, dass Literatur nicht notwendigerweise nur solche Themen behandeln sollte, denn ich kann mir sehr wohl eine sehr gute Literatur vorstellen, die damit gar nichts zu tun hat. Diese neue Generation beschäftigt sich jedoch genau damit: mit der erzwungenen Emigration, dem Drogenhandel oder der Doppelmoral, die zur Korruption führt.“
Seinen literarischen Durchbruch erlebte der Cervantes-Preisträger mit dem Roman Die Spur der Caballeros. Geschrieben hat er ihn 1973/74 während eines Aufenthaltes in Berlin. Das Berliner Künstlerprogramm des DAAD hatte ihn eingeladen.
„Ich wollte damals sehen, ob ich die Geschichte meines Landes aus der Distanz meines Berliner Balkons darzustellen vermochte. Auch deshalb hat das Buch eine komplexe Struktur, viele Personen, verschiedene Zeitebenen. Außerdem wollte ich die historischen Fakten am Privatleben eines Trios von Volksmusikern verdeutlichen und suchte dafür eine neue Ausdrucksform… In dem Roman geht es um die Diktatur, wobei mich die Figur des Diktators nicht interessierte. Ich wollte vielmehr schildern, wie ein politisches System in das Leben einfacher Leute eingreift.“
In vielen seiner Sachbücher und belletristischen Werke geht es um Geschichte. Auch in Castigo Divino (Strafe Gottes) aus dem Jahr 1988 erzählt er von der Somoza-Diktatur. Der Kriminalfall eines Giftmischers in den 30er Jahren bietet ihm die Gelegenheit, im sozialen Mikrokosmos der Stadt León nach den Gründen für die 40-jährige Tyrannei der Somozas zu forschen.
Seit einem guten Jahrzehnt herrscht in Nicaragua erneut ein autoritäres Regime: die Diktatur des ehemaligen Revolutionärs Ortega. Als Politiker hat Sergio Ramírez das System von Vetternwirtschaft, Korruption und Repression von Anfang an heftig bekämpft, aber diese Verhältnisse auch in seinen literarischen Äußerungen, vor allem in seinen Kriminalromanen, aufgedeckt. In Der Himmel weint um mich lässt er 2008 Inspektor Morales einen Fall von Drogenschmuggel und seine tödlichen Folgen aufklären und beschreibt dabei, wie tief die herrschende Klasse in mafiöse Strukturen verstrickt ist. Im letzten Jahr hat er den zweiten Band Niemand weint mehr um mich veröffentlicht.
„Darin erscheint dieser Morales nunmehr pensioniert und alt geworden. Er hat in einem zweitklassigen Einkaufszentrum ein Detektivbüro für zweitklassige Kriminalfälle eröffnet. Und forscht hier im Untergrund des Machtsystems im heutigen Nicaragua nach der entführten Tochter eines Neureichen, von denen es in unserem nach wie vor armen Land sehr viele gibt. Es geht um die Beziehung zwischen Geld und Macht. Und Morales verstrickt sich in diese Welt, gerät in Konflikt mit seinen Idealen als ehemaliger Revolutionär. Das alles spielt in einem Land der totalen Kontrolle der Medien sowie der sozialen Kontrolle, wo eine Hand die andere wäscht, eine Übereinkunft des Schweigens herrscht und sich jeder der Konsequenzen bewusst sein muss.“
Denn wer sich in Nicaragua diesem System der Abhängigkeiten widersetzt, wird von Staats wegen totgeschwiegen – wie der größte Schriftsteller des Landes: Sergio Ramírez. Doch etwas anderes war auch nicht von diesem kulturfeindlichen Regime zu erwarten, für das der wichtigste Preis für spanisch-sprachige Literatur keinerlei Bedeutung besitzt.