Von Peter B. Schumann
2003 wurden in Cuba nach einer tagelangen Hexenjagd 75 Oppositionelle verhaftet, unter ihnen der Nationalpreisträger Raúl Rivero. Es war einer der schlimmsten Akte gegen die Opposition. Als Schwarzer Frühling ging er in die Geschichte der Insel ein.
Sie kamen am frühen Nachmittag des 19. März 2003, die Agenten der kubanischen Stasi, ein Kommando von rund zwei Dutzend Männern. Und sie stürmten in den 3. Stock des Wohnhauses in der Calle Peñalver 466 in Habana-Centro, durchwühlten die Zimmer, konfiszierten Bücher, Manuskripte und selbst Familienfotos. Dann führten sie ihn ab wie einen Verbrecher, den Dichter und Nationalpreisträger Raúl Rivero.
Gleichzeitig lief eine Hexenjagd im ganzen Land. Innerhalb weniger Tage wurden 75 Oppositionelle – Menschenrechtler, Journalisten, Wissenschaftler und Schriftsteller – verhaftet. Bereits zwei Wochen später wurden sie in Schnellgerichtsverfahren zu drakonischen Strafen von bis zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt „wegen subversiver Aktivitäten gegen die Unabhängigkeit und territoriale Integrität Cubas“ – wie die nebulöse, pauschale Urteilsbegründung für alle Gefangenen lautete.
Fidel Castro verstieg sich sogar zu der Behauptung: „Die Verhaftung von Dutzenden von Söldnern, die ihr Vaterland einiger Privilegien und Geldes wegen verraten haben, ist die Folge einer Konspiration der USA und der Terrormafia in Miami.“ Als Schwarzer Frühling ist diese neue Phase des Stalinismus in die kubanischen Annalen eingegangen.
„Am schlimmsten war für mich der Moment, als mir in meiner Zelle bewusst wurde, dass ich hier, wer weiß wie lange, werde leben müssen, und mir nicht klar war, ob ich das lange Zeit ertragen würde.“ So erinnerte sich Raúl Rivero später, der zu 20 Jahren Haft verurteilt worden war. Das bedeutete für den damals 57-jährigen praktisch lebenslänglich. Er kam in ein Hochsicherheitsgefängnis von Ciego de Ávila, im Osten der Insel, und zwar in eine Strafzelle. Diese Form verschärfter Haft darf in Cuba – laut Gesetz – nicht länger als 21 Tage dauern. „Die Strafzelle war nicht größer als ein normales WC. Es gab eine Zinkplatte mit einer Matratze darauf, ein Loch im Boden für die Notdurft, ein Rohr, aus dem Wasser floss, zweimal am Tag für 15 Minuten. Und das bei der unerträglichen Hitze im kubanischen Sommer. Dort verbrachte ich ein ganzes Jahr.“
An Raúl Rivero sollte offensichtlich ein Exempel statuiert werden, denn er war der Prominenteste der 75 Verhafteten. In den 1970er/1980er Jahren gehörte er zur literarischen Elite. Als 1989 die Sowjetunion die Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern einstellte und Cuba in eine dramatische Notlage geriet, schloss er sich der Opposition an. „Es war eine totale politische Krise. Die Leute glaubten der Regierung nicht mehr und forderten vielerorts grundlegende Veränderungen. Aber Fidel Castro antwortete nur mit den alten Parolen und der bekannten Repression. In dieser Atmosphäre fühlten wir Oppositionelle uns bestärkt.“
Raúl Rivero wagte es deshalb, 1995 eine unabhängige Presseagentur zu gründen: Cuba Press – die erste Alternative zu den staatlich kontrollierten Medien. Die Probleme der kubanischen Gesellschaft sollten hier kritisch abgebildet und auf komplizierten Wegen verbreitet werden. „Diese Aktivität haben die Autoritäten sofort als dissident und konterrevolutionär betrachtet und alle daran Beteiligten – wie stets in solchen Fällen – als vom CIA bezahlte Volksfeinde abgestempelt.“
Obwohl der Einfluss von Cuba Press sehr beschränkt blieb, bestand ein Drittel der 75 Verurteilten aus Journalisten, und Raúl Rivero war ihr ‚Rädelsführer‘. Aus humanitären Gründen und auf massiven internationalen Druck kam er bereits nach 20 Monaten frei zusammen mit weiteren 16 Inhaftierten. Die verbliebenen Gefangenen wurden erst nach 7 Jahren im Sommer 2010 durch Vermittlung der katholischen Kirche und der Regierung Spaniens entlassen.
Der Schwarze Frühling 2003 war einer der schlimmsten Gewaltakte gegen die Opposition in Cuba, jedoch nicht der letzte. Als sich am 11. Juli 2021 Zehntausende Kubanerinnen und Kubaner auf der ganzen Insel sich spontan gegen die unhaltbaren Zustände erhoben und „Freiheit“ forderten, wurden sie brutal niedergeknüppelt. Hunderte wurden verhaftet und zu jahrelangen Strafen verurteilt, obwohl sie nur friedlich ihr Recht auf Protest wahrgenommen hatte
Mit Gewalt kann sich zwar das Regime an der Macht halten. Der Geist des Widerstands, den vor 20 Jahren ein paar Dissidenten öffentlich zu manifestieren wagten, ist jedoch in der noch viel dramatischeren Situation von heute in weiten Teilen der Bevölkerung verwurzelt.
Quelle: Deutschlandfunk/ Kalenderblatt
Bildquelle: EFE