Cervantes-Preis an den venezolanischen Poeten Rafael Cadenas

Autor: Peter B. Schumann

Der ‚Premio Cervantes‘ ist der Nobelpreis für spanisch-sprachige Literatur. Er wird seit 1976 alljährlich am 23. April, dem Todestag des legendären Miguel de Cervantes, in dessen Geburtsort Alcalá de Henares verliehen. In bald einem halben Jahrhundert seiner Existenz haben ihn nur 6 Frauen erhalten. Rafael Cadénas hat ihn letzte Woche als erster Autor aus Venezuela erhalten.

Der venezolanischen Literatur fehlt die Lobby, um ihre Poeten international zu fördern. Umso höher ist dieser Preis für Rafael Cadenas einzuschätzen, denn er hat ihn nur für seine Gedichte erhalten. Niemand hat ihn unterstützt und schon gar nicht diese brutale und ignorante Diktatur.“ Das erklärte mir der Schriftsteller Juan Carlos Méndez Guédez. Er ist wie der 93-jährige Poet in Barquisimeto, einer Großstadt tief in der venezolanischen Provinz, geboren und verehrt den alten Herrn, seit er denken kann.

Cadénas ist eine mythische Figur in Venezuela. Er verkörperte bereits in den 1970er Jahren für uns so etwas wie den Schriftsteller schlechthin. Meine Mutter erzählte mir schon als Kind von dem Dichter Cadénas, denn er war wirklich sehr populär. In allen literarischen Beilagen erschienen seine Gedichte und später auch seine Essays. Alle Studierenden wollten ihn unbedingt kennenlernen und stürmten seine Vorlesungen an der Universität. Er blieb trotz all dem Wirbel ein bescheidener, schüchterner Mensch und galt in den 1970er/80er Jahren als die Stimme der venezolanischen Literatur.“

Ich muss gestehen, dass mir die Bedeutung von Rafael Cadenas bisher so gut wie verborgen geblieben ist. In Zeitschriften hatte ich hin und wieder ein Gedicht von ihm gelesen, doch sein Stellenwert in Venezuela war mir nicht bekannt und schon gar nicht seine heutige politische Bedeutung, die Juan Carlos Méndez Guédez so erklärt: „Es war ein Freudentag für viele Venezolaner, auch für uns im Exil: endlich erfuhr die Welt etwas Positives über unser gebeuteltes Land, über einen Dichter, der das andere Venezuela repräsentiert und für uns eine moralische Instanz darstellt. Deshalb waren wir begeistert über die internationale Anerkennung für diesen großen Poeten.“

An Auszeichnungen hat es Rafael Cadenas nie gefehlt. Sie kamen jedoch ausschließlich aus der spanisch-sprachigen Welt wie der Preis des Literatur-Festivals von Guadalajara, der García-Lorca-Preis und der Premio Reina Sofia für Poesie, ganz zu schweigen von den zahlreichen Ehrendoktor-Titeln und dem venezolanischen Nationalpreis. Auf Deutsch ist lediglich vor Jahren ein schmaler Band seiner Gedichte erschienen: Klagelieder im Gepäck. Trotz vereinzelter Versuche hat sich die Literatur Venezuelas auf unserem Buchmarkt nie durchsetzen können. Rafael Cadenas schätzte dagegen die großen deutschen Autoren: „Zum Beispiel Thomas Mann, Hermann Hesse, Stefan Zweig. Ich selbst habe viel über Rainer Maria Rilke geschrieben, denn das, was die Deutschen Gedanken-Lyrik nennen, interessiert mich sehr, Gedichte, in denen die Reflexion im Vordergrund steht, Ideen, die den Leser beschäftigen sollen.“

Eines seiner Gedichte handelt sogar von Rilke. Ein Auszug:

Die Dinge verstanden, besser als die Menschen,
seinen Blick,
unter dem sie sich
einer zweiten Existenz hingaben.
In sich aufnehmend verwandelte er sie in das,
was sie waren, gab sie ihrer Bestimmung zurück,
ließ sie baden in ihrem eigenen Gold.
Wissen denn diese Hingegebenen
von ihrem göttlichen Zustand?“

Rafael Cadenas vereint in seiner Lyrik sprachliche Stringenz und mitunter überbordenden Esprit. Sie ist erfüllt von alltagsbezogenen, magischen und auch philosophischen Motiven. Jede Form von schablonenhaftem Denken ist ihm fremd. Dabei kommt er aus einem völlig anderen Kontext. Der junge Cadenas engagierte sich in den 1950er Jahren wie viele seiner Generation in der Kommunistischen Partei und nahm am Guerrillakampf gegen die Diktatur Pérez-Jiménez teil. Er wurde verhaftet und ging danach jahrelang ins Exil nach Trinidad. Später trat er aus der KP aus und schrieb sein berühmtestes Gedicht Derrota/ Niederlage, den poetischen Abgesang seiner Generation.

Seinem frühen Engagement ist er auf ganz andere Weise treu geblieben – wie seine Tochter Paula ausführt: „Er ist heute sehr viel stärker dem Menschen, der Menschheit verpflichtet, denn er lehnt jede Form von Diktatur, Totalitarismus und Heldenverehrung ab. Er drückt seine Kritik jedoch nicht direkt aus wie andere Poeten, was durchaus legitim ist, denn er will nicht unmittelbar gesellschaftlich eingreifen. Er schreibt aus einer humanistischen Sicht, ist der Achtung vor dem Leben und den menschlichen Werten verpflichtet, die er uns mit seiner Dichtung vermitteln will.“

Rafael Cadenas: der Poet ethischer Prinzipien aus Venezuela, dessen Regierung sie mit Füßen tritt.

Bildquelle: EFE/Archiv

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