Verfassungsplebiszit in Chile. Um was es geht: Beispiel Wasser

Rückblick auf die Kooperationsveranstaltung des Förderkreises des Ibero-Amerikanischen Instituts, der Heinrich-Böll-Stiftung (HBS), dem Lateinamerika-Forum Berlin e.V. (LAF) und dem Gastgeber Ibero-Amerikanisches Institut (IAI) zum “Wasserstress in Chile”, im Ibero-Amerikanischen Institut am 21.09.2020. 


Beitrag von Nora Kelschebach und Werner Würtele

Chile: 78.563 Kilometer Küstenlinie, Seen, Flüsse und Gletscher. Eigentlich klingt der Begriff Wasserstress unter diesen Voraussetzungen geradezu paradox. Wie kann es da sein, dass mitten in einer Pandemie über eine Million Menschen in Chile keinen Zugang zu Wasser haben?! Hat der Klimawandel, die Privatisierung oder der Bergbau Schuld? Oder essen wir einfach zu viele Avocados?

Am 21.09.2020 öffnen sich nach einem halben Jahr Corona-Pause endlich wieder die Türen des Simon-Bolivar Saals im Ibero-Amerikanischen Institut. Die Referent*innen sitzen heute jedoch nicht nur auf dem Podium, sondern auch in Innsbruck, so  der Geograph Dr. Fernando Ruiz Peyré und in Köln Udo Brück, Berater im internationalen (Bio-)Fruchthandel.  Sie blicken Live und im Live Stream, auf Ursachen und Folgen des Wasserstress in Chile und was wir im Norden mit der Wasserknappheit im globalen Süden zu tun haben.

Aber was ist das eigentlich,WasserstressIngo Gentes liefert eine Definition: Wasserstress bedeutet schlicht, dass den Menschen nicht genügend Wasser für ihre notwendigen Bedürfnisse (Trinken, Waschen, Kochen, Hygiene etc.) zur Verfügung steht. In der Landwirtschaft wird dem Boden mehr Wasser entnommen als natürlich hinzugeführt wird (etwa durch Regen).

Den Eingangsvortrag hält Ingrid Wehr. Sie nennt markante Gründe, warum ausgerechnet Chile vom Wasserstress betroffen ist: Zum einen zählt das Land zu den zehn anfälligsten Ländern für den Klimawandel, zum anderen wurden die Wasserrechte in Chile schon vor 40 Jahren an Regimefreunde mehr oder weniger verschenkt. Damit vergab der Staat die Steuerungshoheit über das Wasser. In Zeiten der Pandemie hat eine Million Menschen keinen sicheren Zugang zu sauberem Wasser. Gerade wurde an den UN-Beschluss zum “Menschenrecht auf Wasser” 2010 erinnert. OECD-Land Chile hat alle einschlägigen internationalen Verträge unterschrieben, doch an der Umsetzung hapert es.

Heute verbraucht die chilenische Agrarindustrie vor allem für Exportprodukte wie Avocados und Wein circa drei Viertel des Wassers, in Deutschland ist es weniger als ein Viertel. Über viele Jahre galt Chile als Musterland, in dem das neoliberale Modell funktionierte („Der Markt wird´s schon richten“). Heute ist das Land in Krise. Am 18. Oktober 2019 begann eine nie gesehene Protestbewegung, die das gesamte Land erfasste.  Deren Kritik richtet sich hauptsächlich gegen die Privatisierungen des Gesundheits-, Bildungs- und Rentensystems sowie des Wassers. Sie werden für die zunehmende Spaltung der chilenischen Gesellschaft und eben auch für die Wasserknappheit verantwortlich gemacht. Wird die inzwischen durch die Pandemie geschwächte Bewegung einen „system change“ bewirken können? Die Hoffnungen richten sich auf eine Neue Verfassung.

Salar de Atacama. Salzlauge aus 40 m Tiefe hochgepumpt

Lithium, auch als „weißes Gold“ bezeichnet, ist eines der wichtigsten Metalle der Zukunft. Immer mehr davon wird für die E-Mobilität, und so für unsere Verkehrswende, gebraucht. Doch sollte mal geschaut werden, was unser Hunger nach Rohstoffen in den Abbaugebieten anrichtet, etwa im sog. Lithium-Dreieck im Norden Chiles, Süd-Bolivien und Nord-Argentinien. Das ist das Forschungsgebiet von Fernando Ruiz Peyré. Auch wenn noch keine abschließenden Studien über die Auswirkungen des Lithiumsabbaus vorlägen, so könne doch festgestellt werden, wie massiv der Abbau die natürlichen Wasservorkommen der Region angreife. Die Weiterverarbeitung zu Batterien erfolgt nicht in Chile, sondern in China, Japan und den USA.

Ein Lithium ausbeutendes Unternehmen hat sich einen besonders negativen Namen gemacht: SQM, kritisiert von lokalen Organisationen wegen Verletzung von indigenen und Gewerkschaftsrechten sowie Kauf von Abgeordneten, um den Gesetzgebungsprozess zu beeinflussen. Die lokale Bevölkerung pocht auf den Schutz ihrer natürlichen Lebensgrundlagen – und verlangt ein grösseres Stück von dem zu verteilenden Kuchen.

Doch sind es nicht so sehr Verbrauch und Vernutzung von Wasser an sich als vielmehr wodieses verbraucht wird, nämlich in ariden bzw. semi-ariden Regionen, wo es an Wasser ohnehin fehlt. Avocado-Plantagen müssen im Valle Petorca zu 100% künstlich bewässert werden, mit Grundwasser, dessen Spiegel immer mehr sinkt. Die Flüsse versiegen, die kleinbäuerliche Landwirtschaft hat kein Wasser mehr. Die Dörfer des Tals müssen mit Wasser-LKW versorgt werden, in der Provinzhauptstadt La Ligua kommt es regelmäßig zu Ausfällen in der Wasserversorgung. Seit einigen Jahren formiert sich Widerstand. In manchen Medien wird bereits vom „chilenischen Wasserkrieg“ gesprochen.

Was tun?

Mit Bergbau und Lebensmitteln exportiert Chile Unmengen an Süßwasser. Pro Tag verbrauchen Durchschnittsdeutsche 123 l Wasser, rechnet man das virtuelle Wasser in Form von Kleidung und Lebensmitteln dazu, so sind es ca. 5.000 l – unser Wasser-Fußabdruck. Mit  unserer “imperialen Lebensweise” (Ulrich Brand) sind wir für den Wasserstress im globalen Süden mitverantwortlich. Das müssen wir wissen. Unser Umgag mit Wasser, auch und gerade dem virtuellen,  gehört zu den wichtigen  Aufgaben entwicklungspolitischer Bildung.

Das Podium schaute zunächst auf Verantwortliche und Handlungsmöglichkeiten in Chile. Die chilenische Umweltgesetzgebung ist erstaunlich modern, sodass die Umweltgerichte eine potenzielle Anlaufstelle wären, um beispielsweise Klagen einzulegen. Doch so lange die Pinochet-Verfassung von 1980 gilt und damit das Recht auf Eigentum über den Menschenrechten steht, setzen sich die Plantagenbesitzer regelmäßig in Rechtsstreitigkeiten durch. Allein an diesem Sachverhalt kann die dringende Notwendigkeit einer neuen Verfassung aufgezeigt werden Im Zielkonflikt zwischen Ökonomie und Ökologie haben sich die Regierungen, auch die nach Pinochet, im Wesentlichen für erstere entschieden. Es kann aber nicht sein, so die Protestbewegung, dass das Recht auf Profit über dem Menschenrecht auf Leben steht. Wasser ist keine Ware.

In luftiger Höhe künstlich bewässert

Einigkeit zwischen den Referent*innen besteht im Hinblick auf die Bedeutung internationaler Aufmerksamkeit. Wenn sich in Chile etwas in den letzten Jahrzehnten geändert hat, so auf Druck von außen, stellt Ingrid Wehr fest. So entschlossen sich z. B. vor drei Jahren dänische Supermärkte (dahinter verbargen sich Aldi und Lidl), keine Avocados mehr aus dem Hauptanbaugebiet der Avocados aufzukaufen, was erhebliche Unruhe unter den Produzenten hervorrief. Sie sahen die „institucionalidad“ des Landes attackiert.

Zertifikate und Siegel sind im Verbraucher*innenschutz wichtige Instrumente, besonders das EU-Bio-Siegel. Das Kriterium „Wasserverbrauch und -nutzung“ sucht man dort allerdings vergeblich. Udo Bürk spricht sich für die Aufnahme des Kriteriums aus. Der Kritik am undurchschaubaren Dschungel an Zertifikaten und Siegeln schließt er sich an. Wasser hält er für ein Gemeingut wie die Luft. Bei der Erreichung globaler Nachhaltigkeitsziele misst er der Zivilgesellschaft hohe Bedeutung zu.

Bio-Produkte führen ein Schattendasein in Chile. Am Gesamt der Nahrungsmittelexporte, die in der Exportstatistik nach dem Bergbau auf Platz zwei rangieren,  machen sie nur 1,6% aus. Da ist noch viel Luft nach oben.

Sollten die Avocado-Großplantagen in den semi-ariden Regionen mit Blick auf den Wasserstress zugemacht werden? Expert*innen verlangen dies.

Im letzten Teil des Abends wurde das Saal-Publikum in die Diskussion einbezogen. Nicht leicht dabei war für Ingrid Wehr die Frage zu beantworten, welchen Rat sie vor dem Hintergrund ihrer Kenntnisse über die Lithium-Gewinnung der Partei geben würde, die für eine Verkehrswende mit E-Mobilität steht.

Ganz zum Schluss kam noch das von der Bundesregierung geplante Lieferkettengesetz – die Nachverfolgung der Wertschöpfungsketten bis zu ihren Anfängen – zur Sprache. Ob dieses auch bei chilenischen Avocados und Lithium Wirkung zeigen würde? Das aufgrund der Pandemie auf knapp 30 Personen reduzierte Publikum (sonst passen über 100 in den Saal) musste diese Frage aufgrund der Zeitknappheit unbeantwortet mit nach Hause nehmen, wie auch so manch andere zu Umweltzerstörungen in Chile, verursacht etwa durch Bergbau, Tourismus, Holz- und Lachsproduktion etc..

Fest steht: Der Wasserstress in Chile ist ein hochkomplexes Problem, das nach strukturellen Veränderungen verlangt. Um die Forderungen von Ingo Gentes aufzugreifen: Wasser muss in Chile wieder ein „Partimoniumsgut“ werden und in kommunalen Strukturen verwaltet werden. Gespannt schauen wir auf das Plebiszit zur Verfassungsreform am 25. Oktober 2020.

Fotos: ©Werner Würtele

von links: Ingo Gentes, Werner Würtele, Fernando Ruiz Peyré und Ingrid Wehr.

2 Kommentare Gib deinen ab

  1. Klaus Zimmermann sagt:

    Vielen Dank für den Bericht, in Corona-Zeiten ein hilfreiches Instrument auch die zu erreichen, die nicht an den Veranstaltungen teilnehmen können.

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