Charles Bowden und Ciudad Juárez

Die Frage, der sich im Grunde alle Autoren des literarischen Südwestens stellen, ist die nach der Zukunft – vor dem Hintergrund einer Zivilisation, die an ihre Grenzen stößt. Der radikale Naturphilosoph Edward Abbey stellt sich ihr in Desert Solitaire. Der Chicano-Autor Rudolfo Anaya in Bless me, Ultima und in Heart of Aztlán; beides Geschichten, in denen dem lebensfeindlichen und zerstörerischen angloamerikanischen Technizismus das heilende kulturelle Wissen der mexikanisch-indianischen Vorfahren gegenübergestellt wird. Charles Bowden, der seit seinem ersten Buch Killing The Hidden Waters (1977)  zu den großen zivilisationskritischen Stimmen des literarischen Südwestens zählt, ist unter diesen die einzige, deren literarischer Horizont sich bis über die Grenze erstreckt und Ciudad Juárez miteinschließt. „Sobald ich wieder die Grenze zu den Vereinigten Staaten überquert habe“, schreibt Bowden in seinem ersten Essay über Juárez, „erwähnt kein Mensch mehr diesen Ort. Er hört schlicht auf, zu existieren. Selbst wenn ich nur bis nach El Paso reise.“* Doch schaffte auch er es erst Mitte der 1990er Jahre, literarisch den Grenzfluss in südlicher Richtung zu überwinden. Zu diesem Zeitpunkt hatte er seit bereits zwanzig Jahren aus der Border-Region berichtet. Ciudad Juarez – the laboratory of our future (1998) heißt das Buch, in dem seine Aufmerksamkeit nun zum ersten Mal ganz auf das gegenüberliegende Ufer des Rio Grande gerichtet ist. Der Titel stellt klar: Auch das ist ein Buch über die Zukunft. Einer Zukunft, die in Ciudad Juárez zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung allerdings schon seit knapp dreißig Jahren – seit dem Bau der ersten maquiladora – Gegenwart ist und das Gesicht einer globalisierten Wirtschaftswelt trägt.  2002 legt Bowden dann mit Down By The River. Drugs, Money, Murder And Family eine auf beiden Seiten der Grenze spielende Erzählung über Korruption, Betrug, Verrat und Mord im Anti-Drogen-Kampf vor. Es ist die Geschichte des Mordes an einem Unschuldigen,  zugleich auch die Geschichte eines 13-jährigen aus Ciudad Juárez, der in El Paso diesen Mord ausführt. Und die Geschichte des Kartells, das diesen Mord in Auftrag gegeben hat. Und schließlich die Geschichte der geheimen Verbindungen im Anti-Drogen-Kampf, in dem die Grenzen zwischen Legalität und Illegalität immer mehr verschwimmen.  „Stell Dir vor, du bringst einen Menschen um und nichts passiert. Du wirst nicht verhaftet. Du kannst dein Leben weiterleben und weiter töten“, schreibt Bowden in Murder City, dem nächsten Buch über Juárez,  in dem er drei Menschen über den Zeitraum  des Jahres 2010 hinweg porträtiert. 2010 war das gewaltsamste Jahr in der Geschichte der Grenzstadt. Den Sicherheitsstrategen im US-amerikanischen Heimatschutzministerium erbrachte es den Beweis, dass das von ihnen entwickelte militärische Grenz-Sicherheitskonzept dem Praxis-Test standhielt. Während Ciudad Juárez 2010 knapp viertausend Tote zu beklagen hatte, lag im gleichen Jahr die Verbrechensrate in El Paso, auf der anderen Seite der Grenze, bei fünf Morden. Sie würden gewinnen, weil sie auf der Gewinnerseite stünden – das hätten ihnen ihre Prediger und Präsidenten in der Geschichte stets versichert, so Bowden in Trinity. Den Drogenfluss ins Land hatten allerdings weder die bis zu den Zähnen bewaffnete Grenze noch die milliardenteure Mérida-Initiative einzudämmen vermocht, und der Krieg gegen die Kartelle hatte bisher kein einziges Drogenkartell zerstört.  Ihr Fehler sei es, so Bowden weiter, nie auf Andere zu hören, die nicht ihre Gewissheit über ihr Schicksal teilten. Sonst hätten sie erkannt, dass sich mit einer auf Waffen und Krieger als Trumpfkarte setzenden Zukunft weder der Drogenfluss noch der Marsch der Armen über die Grenze stoppen ließen.

2014 beendet Bowden eine Geschichte, die  er 1998 begonnen hat: Blood on the Corn. In ihr geht es um Allianzen aus der Zeit der Reagan-Regierung, die zwischen der CIA und dem organisierten Drogenhandel in Mexiko geschlossen wurden, um mit dem Erlös aus den Kokainverkäufen den illegalen Krieg der Contras in Nicaragua zu finanzieren. Diese Verbindung hatte 1996 der US-Journalist Garry Webb in seiner Artikelserie Dark Alliance aufgedeckt. Infolge der Zweifel, die sein eigener Arbeitgeber hinsichtlich des Wahrheitsgehalts seiner Geschichte hegte, verlor der Pulitzer-Preisträger Webb seinen Job und seine Reputation als Journalist. 2004 nahm er sich das Leben. Charles Bowden, der in The Pariah bereits 1998 eine Ehrenrettung des Kollegen unternahm, recherchiert in Blood on the Corn alles nach und bestätigt, was Webb herausgefunden hatte. Nur wenige Tage, nachdem er Blood on the Corn zum Abschluss gebracht hat, stirbt Charles Bowden mit 69 Jahren an Herzversagen. Mit ihm verstummt 2014 die politischte Stimme der Border-Region.

Foto: Charles Bowden in Ciudad Juárez ©Molly Molloy

*“While you were sleeping“, Haper’s Magazine, 1996.

 

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