Das „Argentinische Tageblatt“ wurde eingestellt.

Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Sprachrohr der deutschsprachigen jüdischen Gemeinschaft

„Das Argentinische Tageblatt erscheint heute zum letzten Mal“, lautete am Freitag, den 13. Januar 2023, der Aufmacher der Zeitung aus Buenos Aires. 1878 hatte der Schweizer Johann Alemann sie als „Argentinisches Wochenblatt“ gegründet. Er war der Urgroßvater des 95jährigen Juan Alemann, der nun den Nachruf und bislang wöchentlich Artikel vor allem zu Wirtschaftsfragen verfasste.

Die Auslandszeitung kann auf ein 144jähriges Bestehen im Familienbesitz zurückblicken. Von 1889 bis 1981 erschien die Zeitung täglich, sie entwickelte sich ab 1933 zum Sprachrohr der exilierten Gegner des NS-Regimes und der deutschsprachigen jüdischen Gemeinschaft in Argentinien und Lateinamerika. Gegner hatte sie sowohl unter den nationalistischen Deutschen und später den geflohenen Nazis als auch bei einigen peronistischen Politikern. Argentinien trat erst sehr spät auf der Seite der Alliierten in den Zweiten Weltkrieg ein. Erst dann wurde die „Deutsche La Plata Zeitung“, die für den Nationalsozialismus eintrat, verboten. Sie und das „Argentinische Tageblatt“ (AT) hatten über Jahre einen regelrechten Pressekrieg ausgetragen. Das im Lande weiter vorhandene nationalistische deutschsprachige Lager las fortan die „Freie Presse“, die bis 1975 erschien. So groß war die Zahl der deutschen Einwanderer und Migranten, das fast drei Jahrzehnte lang zwei deutsche Tageszeitungen bestanden.

Das „Argentinische Tageblatt“ trat für die Demokratie und einen wirtschaftsliberalen Kurs ein. Dies und ihr Anti-Peronismus mögen Gründe dafür gewesen sein, warum Roberto Alemann, der Sohn des Herausgebers, ab 1976 als Wirtschaftsminister unter der Militärdiktatur amtierte. Dadurch erhielt die Demokratieschichte des freisinnigen Blattes einen deutlichen Kratzer.

Auch im 21. Jahrhundert lohnte die Lektüre der Zeitung. Sie fiel in einer ansprechenden Ausgabe im Netz durch ein klares und fehlerloses Deutsch auf. Wer einen schnellen Überblick über die Woche in Argentinien und die neuesten Zahlen aus der Wirtschaft erhalten wollte, wurde nicht enttäuscht. Dass sie eher mit der Opposition als mit den Peronisten sympathisierte, dürfte kein Geheimnis für die Leser gewesen sein. Unter dem letzten Redaktionsleiter Stefan Kuhn, der 1993 nach Argentinien gekommen war, öffnete sich die Zeitung weiter zur politischen Mitte. 2012 nahm er in Berlin den Medienpreis „Dialog für Deutschland“ für die beste deutschsprachige Auslandszeitung aus den Händen des damaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert entgegen.

In den letzten Jahren sank die Zahl der Deutschsprachigen in Argentinien immer schneller und das vormals so ausgeprägte Vereinsleben der „Alemanes“ verlor an Bedeutung. Die Leserschaft ging zurück, die Inserate sanken. Schon 2017 war der einige Jahre ältere „Buenos Aires Herald“ eingegangen. Den Schlusspunkt setzte nun der Tod von Stefan Kuhn Anfang 2023. Große Teile des historischen Archivs der Zeitung befinden sich seit 2005 in der Bibliothek des Ibero-Amerikanischen Institutes am Potsdamer Platz.

Laut einem Artikel in „La Nación“ möchten Mitarbeiter und Anhänger des AT digital weitermachen, die deutsche Botschaft würde dies unterstützen. Aber es bleiben Zweifel, ob dies gelingen kann, wenn Juan Alemann nicht mehr seinen vielgelesenen Wirtschaftsüberblick schreibt, ein moderner Redaktionsleiter fehlt und finanzielle Mittel ausbleiben.

Nikolaus Werz

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